Matthias Winkler
Matthias Winkler ist Geschäftsführer der prestige- und geschichtsträchtigen Sacher-Hotels, die neben exzellentem Service auch durch eine exzellente Mehlspeise nicht nur in Österreich große Bekanntschaft genießen. Im Gespräch nimmt uns Herr Winkler mit auf die Reise – zu einem unspektakulären Studium, ins Finanzministerium, ins Familienunternehmen und in dutzende verschiedene Branchen. Dabei lernen wir, wieso sich bedingungsloser Optimismus inzwischen nicht mehr rentiert.
Herr Winkler, erzählen Sie uns von Ihrem Werdegang: Sie haben ja zunächst Politikwissenschaft studiert, oder?
Mein Werdegang hat mit der schönsten Kindheit, die man haben kann, begonnen: im Ennstal, wo ich aufgewachsen bin, und darauf blicke ich noch heute gerne zurück. Damals, in meiner Jugend, gab es nichts Wichtigeres, als schnell in die Stadt zu kommen – heute dagegen ist die Rückkehr in die Heimat mein größtes Glück. Auf jeden Fall bin ich nach meiner Matura zur Uni Wien gegangen, übrigens als der Einzige aus meiner Klasse. Und ich hatte dort dann zwar zuerst das Jus- und später das Politikwissenschaftsstudium in Angriff genommen, in Wahrheit aber wusste ich damals überhaupt nicht, was ich später beruflich machen möchte. Tatsächlich wollte ich überhaupt nicht studieren – mich hat die theoretische Art der Fachwissensvermittlung an Schule und Uni nie interessiert, aber da man in Österreich mit einem Magister vor dem Namen mehr Möglichkeiten hat, habe ich eben irgendetwas studiert und nebenbei gearbeitet.
Also war das Studium für Sie eher ein notwendiges Übel?
Ja, ich habe mich damals viel mehr auf die Projekte konzentriert, die ich nebenbei gestartet hatte. Ich war zum Beispiel in der Österreichischen Hochschülerschaft sehr engagiert und habe mit den anderen oft riesige Studentenfeste organisiert. Nebenbei habe ich mit ein paar Kollegen auch für eine kleine, selbst gegründete Firma gearbeitet. Alles in allem war meine damalige Zeit voller Überraschungen: Oft wusste ich am Montag nicht, was mich am Dienstag erwartet.
Sie hatten damals bereits eine Firma?
Ja, nichts Weltbewegendes, aber wir haben dennoch viel hineingesteckt. Einmal haben wir zum Beispiel auf Inline Skates – die waren damals modern – Flyer verteilt, um aufzufallen. Später bin ich über diese Firma zu McDonald’s gekommen, wo ich dann ebenfalls zu arbeiten angefangen habe. Ein Jahr lang habe ich Pommes frittiert, Burger gewendet und WCs geputzt, bis ich in die Service-Zentrale beim Flughafen Wien befördert wurde. Dort war ich dann für das Local Store Marketing des ganzen Landes zuständig und über diese Stelle bin ich später dann in die Politik gestolpert, habe die Pressearbeit und später das Kabinett des Finanzministers Grasser verwaltet. Von dort ging es weiter zu einem Wettanbieter und schließlich zurück in die Selbstständigkeit – und heute sitze ich in einem Büro in Wien und leite alle Sacher-Betriebe landesweit.
Wann war für Sie klar, dass Sie in den Familienbetrieb einsteigen? Wie hat sich das letztendlich ergeben?
Zunächst stand das außer Frage. Meine persönliche Freiheit war für mich damals immer das höchste Gut. Und dann in eine dominante Marke wie Sacher einsteigen, obendrein als eingeheiratetes Familienmitglied? Nein, damals wollte ich das überhaupt nicht, weswegen ich vor 2014 auch meinen vorher erläuterten Weg eingeschlagen habe. Die Frage kam erst wieder auf, nachdem mir meine Schwiegermutter noch einmal anbot, nicht doch für die Hotellerie zu arbeiten. So bin ich dann schlussendlich ins Hotel Bristol gekommen, zunächst über die Due-Diligence-Prüfung vor dem Kauf, später als Geschäftsführer. Und nach einiger Zeit habe ich auch entdeckt, dass die Hotellerie viel mehr bietet, als ich mir ursprünglich gedacht habe.
Worin sehen Sie die momentan wichtigsten Herausforderungen für die Hotellerie, abgesehen von der aktuellen Situation?
Die große Schlüsselfrage lautet: Wie kriege und begeistere ich gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Auf der einen Seite braucht man natürlich einen gewissen Druck, um einen so enormen Betrieb am Laufen zu halten, doch andererseits sollen die Mitarbeiter auch die größtmögliche Freiheit behalten können. Diese beiden Faktoren zusammenzubringen, ist definitiv die größte Herausforderung, bei Weitem aber nicht die einzige. Etwa 92 % unserer Gäste sind international Reisende und entsprechend erwarten sie auch ein Niveau von Welt. Das heißt, wir brauchen immer mehr Geld, um das schönste Haus, das schönste Restaurant, die schönsten Hotelzimmer bieten zu können.
» Es braucht Mut und manchmal eine Prise Wahnsinn. «
Nach welchen Kriterien wählen Sie Mitarbeiter aus?
Also, die erste Frage, die ich Bewerberinnen und Bewerbern stelle, ist: „Sind Sie ein begeisterter Gastgeber?“ Völlig egal, wo die Person letztendlich zum Einsatz kommt. Jemand, der nicht gerne im Dienstleistungsbetrieb arbeiten möchte, muss das offen eingestehen können. Nur dann ist diese Person sicher in der falschen Branche. Egal ob in der Buchhaltung oder in anderen Abteilungen, die augenscheinlich nichts mit dem Gast zu tun haben – es geht hier um das allgemeine Mindset in der Firma. Die zweite Frage, die ich ihnen dann stelle, überrascht sie meistens: „Welche zwei Fragen wollen Sie mir stellen?“ Die Frage ist insofern interessant, weil ich so erkenne, wie spontan, wie vorbereitet und wie stressresistent jemand ist. In den meisten Fällen kann ich nach diesen fünf Minuten dann schon einschätzen, ob die Person passt oder nicht. Natürlich gibt es danach auch immer wieder Überraschungen. Aber das sind für mich die wichtigsten Parameter.
Kommen wir zu einer im wahrsten Sinne des Wortes etwas technischeren Frage: Wie setzen Sie das Thema Digitalisierung in der Hotellerie um?
Digitalisierung in der Hotellerie wird völlig missverstanden, weil sich alle vorstellen, dass plötzlich Computer oder Roboter am Eingang stehen und Gäste begrüßen. Das ist völliger Unsinn – bis auf ein paar Concept Stores plant das kein Hotelier ernsthaft. Die Hotellerie ist ein Geschäft, in dem Menschen mit Menschen reden, der individualisierte Kontakt steht in dieser Branche also ganz vorne. Und über die Digitalisierung kann ich diesen persönlichen Kontakt zu den Gästen aufbauen, bevor sie überhaupt ankommen, und auch weiter halten, nachdem sie wieder abgereist sind. Hinzu kommt natürlich die interne Ebene. In unserem Housekeeping wird alles nur mehr digital organisiert – andere interne Abteilungen folgen. Kunden können bei uns über eine eigene App auch alle Interaktionen während eines Aufenthaltes direkt über ihre persönlichen Smartphones tätigen, ganz gleich, ob sie das Zimmer aufsperren oder ein Wiener Schnitzel bestellen wollen. Wir stellen unseren Kunden auch eine 100-MB-Internetverbindung ohne Aufpreis zur Verfügung. Wir versuchen, mit Digitalisierung sowohl die Nähe zum Kunden zu verbessern als auch einen Standard zu bieten, der globalen Ansprüchen gerecht wird. Also: Digitalisierung ist eine zentrale Säule unserer Zukunft.
Digitalisierung wird also bereits eingehend verfolgt. Wie kommen Sie jetzt im Sacher auf neue Ideen, wie funktioniert Innovation bei Ihnen?
Ich glaube, damit eine Idee im Endeffekt umgesetzt wird, bedarf es dreier Faktoren. Erstens: Es muss eine Person im Team geben, die wirklich von einer Idee fest überzeugt, geradezu schon besessen ist. Zweitens: Es braucht unglaublich viel Überzeugungsarbeit, um Mittäter aufzutreiben, wenn man so will. Und drittens: Es braucht eine große Portion Mut, manchmal auch gepaart mit einer guten Prise Wahnsinn, um sich in eine Idee „hineinzutigern“. Ich hoffe auch, dass unser Ideenfindungsprozess, gerade wenn es um Insights aller Mitarbeiter geht, sich in den letzten Jahren ein bisschen verbessert hat. Besonders in Österreich ist man ja generell recht innovationsscheu und mit einer so langen Geschichte wie der unseren müssen wir uns auch selbst immer dazu bewegen, Neues zu versuchen.
« Meine persönliche Freiheit war für mich immer das höchste Gut. »
Als Geschäftsführer haben Sie ja ein gewisses Durchgriffsrecht. Aber wie nehmen Sie die Mitarbeiter sozusagen mit auf die Reise ins oft Ungewisse?
Ein guter Punkt, weil Innovation kann man ja dummerweise nicht einfach so verordnen, aber zumindest können wir den Boden dazu bereiten, Innovation einfach zu gestalten. Wir haben es uns zum Beispiel in den Kopf gesetzt, die Gesprächs- und besonders die Fehlerkultur im Unternehmen fest zu verankern. Da müssen wir dann natürlich auch mit gutem Beispiel vorangehen: Meine ersten beiden Digitalisierungsversuche sind zum Beispiel damals komplett an die Wand gefahren. Das haben wir transparent gemacht und ganz offen zugegeben, dass wir uns hier geirrt haben, dass etwas schief gegangen ist. Und ich glaube, dass das auch dazu beigetragen hat, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein wenig die Sorge davor genommen wurde, Fehler zu machen und dann auch einzugestehen.
Und wie binden Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anschließend in den Innovationsprozess ein?
Wir lassen sie Erfahrungen machen. Also, wir haben etwa 40 bis 50 leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir in Kleingruppen eingeteilt haben, um sie dann alles Mögliche machen zu lassen, Dinge wie: „Kauft eine Sonnenbrille online“ oder auch: „Versucht ein Hotelzimmer im Sacher über die Website zu buchen“, natürlich alles auf unsere Kosten. Aber der wichtige Punkt hier ist, dass wir durch sie herausfinden wollen, wie genau der Kaufprozess für sie vonstattengegangen ist. Die Aha-Effekte, die sich dann herauskristallisieren, sind letztendlich der Grundstein für neue Innovationen. Und wir haben wahnsinnig tolle junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die natürlich ebenfalls hunderte an Eindrücken und Erlebnissen haben, von Reisen in andere Länder bis hin zu ganz banalen Alltagsdingen, die solche Dinosaurier wie ich gar nicht mehr kennen. All diese Ideen von all diesen verschiedenen Personen kommen zusammen – sie treiben letztendlich unsere Entwicklungen voran. Natürlich ist der Prozess an sich langsam, aber jede Entwicklung braucht ihre Zeit.
Wenn Sie jetzt zurückblicken: Was waren die größten beruflichen Rückschläge, die Sie einstecken mussten?
Rückschläge sind ein Dauerbegleiter im Leben, angefangen bei einer verpatzten Englisch-Matura – obwohl ich bis dato ein zumindest mittelprächtiger Schüler war – über die vielen Uni-Prüfungen, bei denen ich im ersten Anlauf gescheitert bin, bis hin zu Beziehungen, die in die Brüche gegangen sind. Und natürlich hat sich das auch im Berufsleben fortgesetzt. Ich kann mich noch gut an meinen, ich glaube, zweiten oder dritten Arbeitstag im Finanzministerium erinnern. Damals wollte ich einem Radiosender die Leviten lesen, weil sie sich über den Finanzminister ausgelassen hatten. Im Endeffekt hat der Radiosender das gesamte Statement inklusive meines Anrufes noch einmal abgespielt. Natürlich sind das alles Rückschläge, aber ich war immer in der Lage, alles aus einer gewissen Distanz betrachten zu können. Mit der Zeit verlieren solche Tage an Gewicht und man kann Dinge viel leichter relativieren. Es gibt immer einen nächsten Tag.
» Innovation kann man dummerweise nicht verordnen. «
Das heißt, Sie bleiben nicht hängen an einer negativen Begebenheit?
Also diesen einen großen Rückschlag, diese eine große Enttäuschung, die gab es nie. Auch wenn ich Ihnen jetzt noch 20 Beispiele erzählen würde, rückblickend hatte ich nie diesen einen riesigen enttäuschenden Moment. Im Gegenteil: Ich habe viele tolle und bewegende Erfahrungen gemacht. Aber der Rückblick in Richtung: „Das war eine Enttäuschung“ oder: „Dem bin ich für immer böse“, das hatte ich nie, auch als Kind nicht.
Welche Eigenschaften, denken Sie, machen Sie so erfolgreich in Ihrer Tätigkeit?
Also erstens weiß ich gar nicht, ob ich so erfolgreich bin, und ich habe auch nie dramatisch viel darüber nachgedacht. Ich hatte sicherlich eine große Portion Glück. Außerdem verantworte ich das, was ich tue. Und ich mache nichts, wovon ich nicht überzeugt bin. Das klingt einfach und stimmt wahrscheinlich auch nicht in 100 % der praktischen Fälle. Aber letztlich kann ich zu jeder Entscheidung, die ich getroffen habe, und den Konsequenzen, die sie gebracht hat, stehen.
Wie schnell sind Sie generell darin, eine Entscheidung zu treffen?
Ich bin in vielen Entscheidungen mit Sicherheit zu schnell, auch wenn ich aktuell versuche, das zu ändern. Ich denke jetzt öfter darüber nach, ob bestimmte Entscheidungen sofort notwendig sind oder ob es klüger wäre, mir noch andere Meinungen einzuholen. Mittlerweile tendiere ich ein bisschen mehr dazu, mir für gewichtige Entscheidungen auch den Raum und die Zeit zu nehmen, um bewusster zu entscheiden.
Woher bekommen Sie die Motivation, immer wieder was Neues zu versuchen?
Wir hatten gerade kürzlich erst eine Diskussion zu genau diesem Thema, damals habe ich gesagt: „In der Vergangenheit liegt die Sicherheit, dass wir es können. Die Chancen liegen aber in der Zukunft.“ Die Vergangenheit bietet für uns keine Chancen mehr, folglich entstehen neue Gelegenheiten nur in neuen Situationen. Das heißt natürlich nicht – das ist auch immer so ein großes Missverständnis – dass vergangene Erfahrungen nichts mehr wert sind. Aber letztendlich muss man Herausforderungen aus der Sichtweise eines Possibilisten sehen. Soll heißen: Man muss Gelegenheiten erkennen und dann auch nutzen können. Ich konnte das bei all meinen drei Kindern beobachten: Sie lernen das Gehen, nachdem sie oft hingefallen sind. Sie lernen das Sprechen, nachdem sie eine Weile lang nur brabbeln. Aber schlussendlich versuchen sie es so lange, bis es dann irgendwann funktioniert. Den Erwachsenen fehlt da ja schon jegliche Fantasie dafür, Neues zu entdecken. Aber ich glaube, genau die Einstellung, dass Neues es grundsätzlich wert ist, entdeckt zu werden, die bringt uns nach vorne.
Aktuell sieht es ja in der Hotellerie und Gastronomie für viele Unternehmen nicht gerade gut aus. Was würden Sie diesen Unternehmerinnen und Unternehmern raten?
Also, ich rate grundsätzlich mal niemandem etwas, weil das immer so klingt, als wüsste man was besser als die anderen Unternehmer. Was wir aber tun, ist, dass wir uns im Halbjahrestakt mit anderen Unternehmen auseinandersetzen. Wir gehen dorthin, reden mit den Mitarbeitern und laden sie dann auch zu uns ein. Das haben wir mit der Technischen Uni Graz, mit der Kleinen Zeitung und überhaupt mit allen möglichen Unternehmen gemacht.
Was genau bedeutet „auseinandersetzen“? Können Sie darauf ein wenig eingehen?
Ja, natürlich. Also, dieses Konzept haben wir eigentlich schon seit 2014, nachdem ich die Geschäftsführung übernommen hatte. Damals hatte ich mich mit den anderen wichtigen Führungskräften in unserem Unternehmen sowie der Marketing- und Sales-Abteilung zusammengetan, um Möglichkeiten zur Innovation zu finden. Und in diesen Gesprächen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir nur dann besser werden, wenn wir von anderen lernen. Und so ist dann auch letztendlich diese Idee entstanden. Seitdem besuchen wir alle sechs Monate alle möglichen Unternehmen, um dort, einfach formuliert, zu lernen, wie sie mit aktuellen Entwicklungen umgehen. Wir haben uns die Kleine Zeitung angesehen, um herauszufinden, wie viel an dem „Print ist tot“-Sager wirklich dran ist. Wir haben uns die Vodafone in Düsseldorf angesehen, um herauszufinden, wie sich ein SIM-Karten-Verkäufer zu einem Kommunikationsunternehmen entwickelt hat. Wir waren bei Markus Scheer, einem herausragenden Schuster in siebenter Generation, um herauszufinden, wie er die Digitalisierung meistert. Und niemand von denen hat uns Ratschläge gegeben und wir ihnen auch nicht, sondern wir haben einander zugeschaut: Was machen die und was können wir davon lernen. Kopieren kannst du ja nichts aus einer völlig anderen Branche – aber du kannst von ihnen lernen.
Und wie steht’s mit Unternehmen aus derselben Branche?
Mit anderen Hoteliers und Gastronomen machen wir dieses Projekt nicht. Das liegt jetzt aber nicht daran, dass wir hier irgendwelche Staatsgeheimnisse bewahren wollen, ich glaube einfach, dass bei direkten Konkurrenten immer das Risiko einer gewissen Selbstdarstellung gegeben ist. Wenn Hoteliers aufeinandertreffen, ist es manchmal ein bisschen wie bei einer „Götterdämmerung“ im Sinne dieser Selbstdarstellung, wer was nicht alles hat und kann.
Super spannend. Und dieses Prozedere organisieren Sie alle sechs Monate?
Genau, das ist meine Aufgabe. Also organisiere ich das alles und suche Interessenten. Heuer ging das natürlich nicht, aber wir wollen das Konzept definitiv wieder ausrollen. Und natürlich haben wir uns auch schon einige andere Ideen überlegt, zum Beispiel, ob man nicht für einen Tag mit einem anderen CEO tauschen könnte. Da würden definitiv ein paar spannende Ideen herauskommen.
Das klingt nach einem sehr interessanten Prozedere. Aber zurück zur vorherigen Frage: Wie genau gehen Sie mit der aktuellen Situation um bzw. sind am Anfang des vorigen Jahres damit umgegangen?
Am Anfang der Krise haben wir unseren Neuanfang mit dem Tag 0 definiert. Das heißt, dass wir alle bisherigen Entwicklungen und alle Vergleiche nach hinten völlig außer Acht gelassen haben. Als nächstes haben wir uns einen Tag 1, einen Stichtag sozusagen, definiert – in unserem Fall den 1. Juli –, zu dem wir, rein hypothetisch, wieder aufsperren wollen. Und dann haben wir uns überlegt, was in den ersten 100 Tagen zwischen diesen beiden Punkten erledigt werden muss. Und mit dieser Zielsetzung haben wir wieder Dynamik in den gesamten Prozess gebracht. Dann haben wir uns angehört, was die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sagen haben. Hier kann man so unglaublich vielseitige Ideen noch in den Prozess einbinden. Und natürlich trifft man als Führungskraft dann selbst die endgültige Entscheidung. Dennoch muss man zuhören und den Standpunkt anderer verstehen können und nachher auch zu seiner Entscheidung stehen. Außerdem waren wir entschlossen, mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ehrlich zu sein. Die machen sich ja verständlicherweise ebenfalls Sorgen um ihren Job, aber hier Versprechen zu geben, von denen wir selber nicht wissen, ob wir sie überhaupt halten können, macht die Realität nicht besser. Wenn wir etwas nicht wissen, kommunizieren wir das, und wenn wir negative Entscheidungen treffen müssen, ebenfalls. Als wir etwa im September Leute kündigen mussten, haben wir uns mit ihnen in einer Art Townhall zusammengesetzt, die Situation erklärt und dann Fragen beantwortet. Und ja, da gab’s Fragen, sehr kritische Fragen sogar. Aber wir haben miteinander geredet und das ist wichtig.
Wie sind diese Townhalls von den Mitarbeitern aufgenommen worden?
Dazu gab es eine Begebenheit, die erzählt das meiner Meinung nach ganz gut. Das wissen Sie wahrscheinlich sowieso, aber wenn man jemanden kündigt, dann umarmt einen der nicht dankend. Da bricht für jemanden eine Welt zusammen, besonders dann, wenn die betroffene Person nichts falsch gemacht hat. Und wir mussten an diesem 15. September leider wirklich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kündigen. Und am Nachmittag desselben Tages hat mich jemand angerufen und gesagt, dass sich so etwa 20 bis 30 Personen in der Nähe versammelt hatten, im Sinne von: „Da braut sich was zusammen.“ Dann bin ich zu der Gruppe hingegangen – übrigens allesamt erst an dem Tag von uns gekündigte Mitarbeitende – und habe mit ihnen das Gespräch vom Vormittag fortgesetzt. Es ist kein einziges böses Wort gefallen, nichts hat sich zusammengebraut. Letztendlich waren sie einfach traurig darüber, dass für sie die Sacher-Geschichte nun zu Ende gegangen ist. Aber sie haben unsere Entscheidung auch nachvollziehen können und ich habe ihnen letzten Endes gesagt, dass wir uns, sobald sich die Wogen glätten, definitiv bei ihnen melden werden
Ist natürlich schon auch mal mutig, sich den Konsequenzen so direkt zu stellen.
Ich glaube, dass besonders der Gedanke, dass man jede Situation aussitzen könnte oder sich in eine Welt retten kann, die man sich selber zusammengebastelt hat, nicht hilfreich ist. Nur schlechte Führungskräfte verstecken sich vor den unschönen Tatsachen. Und egal, ob Gäste oder Kunden: Je weniger man sich den anderen stellt, desto höher wird die Gefahr des Elfenbeinturmes. Ich glaube, zu Angela Merkel hat man das einmal gesagt: „Vorausgehen hat nur so lange Sinn, solange man dich noch sieht.“ Und das gibt, finde ich, ein gutes Bild. Vorausgehen muss jede Führungskraft, aber sie muss auch stehenbleiben und zu den anderen zurückblicken können. Du musst den anderen die Chance geben, deine Gedankengänge nachzuvollziehen. Und dann muss man auch in der Lage sein, die Wahrheit zu sagen. Natürlich wollen manche Leute das nicht. Aber die haben meiner Meinung nach in meinem Unternehmen auch keinen Platz.
Was sind Ihre Ziele für 2021? Persönlich und vor allem beruflich?
Also das Schönste wäre, wenn wir so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie möglich wieder zurückholen könnten. Was voraussetzt, dass wir wieder deutlich mehr Umsatz machen. Und das setzt wiederum voraus, dass die Impfung wirklich funktioniert und die internationale Reisetätigkeit wieder in Schwung kommt. Ich glaube, dass wir in diese Richtung gehen werden – in welcher Dimension, weiß ich zwar nicht, aber wir planen mal danach. Und mein persönliches Ziel ist, dass ich die Kilometer, die ich heuer im Wald auf meinem E-Mountainbike verbracht habe, nächstes Jahr nochmal steigern kann. Coronabedingt habe ich damit zum Ausgleich begonnen und ich hoffe, dass ich vom Ausgleich hin zum puren Vergnügen komme. Das ich mich schon selbst auch auf die nächste Tour freue, das ist so mein persönliches Ziel.
Das sind wirklich sehr gute Ansätze. Recht herzlichen Dank für das Interview.
Ich danke fürs Interesse. Das war sehr spannend. Und falls Sie uns einmal besuchen kommen, werde ich sehen, dass Sie zu-mindest eine Original Sacher-Torte nach dem Rezept von 1832 zum Kaffee bekommen.