Tim Raue
Im Restaurant kommt man Haubenkoch Tim Raue besser nicht auf dem falschen Fuß daher. Geschult in der harten Welt der deutschen Küche, hat sich der gebürtige Kreuzberger mit Ehrgeiz, Talent und Unverblümtheit an die Spitze der internationalen Kulinarikwelt hochgearbeitet. Im Gespräch erzählt er uns von seiner Jugend auf den Straßen Kreuzbergs, warum bei ihm selbst Kunden nichts zu meckern haben und wieso Karma ein gnadenloser Lehrmeister ist.
Die Gastronomie muss ja aktuell übergreifend mit Umsatzeinbrüchen kämpfen. Wie sieht es da bei euch derzeit aus, Tim?
Die Umsatzeinbrüche sind natürlich das eine. Das ist ein Teil der wirtschaftlichen Komponente, die einfach unausweichlich geworden ist. Aber da gibt’s natürlich noch die andere wichtige Komponente in jedem Unternehmen, nämlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die kommen ja aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten, haben verschiedene Bildungsgrade und so weiter. Was sie aber alle gemein haben, und zwar schon seit dem ersten Lockdown, ist im Endeffekt eine unterschwellige Furcht. Die Furcht, nicht mehr zu wissen, wohin die Reise geht, und keine klaren Ziele mehr zu haben. Der Normalsterbliche hat sein Leben früher von einem Urlaub zum anderen geplant, aber das geht jetzt halt nicht mehr. Wir können ja noch nicht einmal irgendwelche Prognosen aufstellen. Und das, was ich an dieser ganzen Situation jetzt so schwierig finde, ist, dass die Gewässer für Unternehmer im Moment sehr rau sind. Du musst als Unternehmer heute schnell flexible Lösungen finden, du kannst dich nicht auf die Regierungen – in meinem Fall etwa die in Deutschland – verlassen, weil dir zwar Hilfe zugesagt wird, aber die Einzelheiten, also das Wie und Wann und so weiter, dann letztendlich so unklar sind, dass du dir trotzdem Gedanken darüber machen musst, dass du überhaupt erst liquide und halbwegs flexibel in deiner Unternehmensstrategie bleibst. Auf der anderen Seite hast du in diesen Zeiten, in denen du selbst schon unfassbar viel mental leisten musst, dann auch noch Mitarbeiter, die nicht zu 100 % arbeiten können, weil sie ja auch selbst Sorgen und Nöte haben.
Wie handhabt ihr das alles?
Ja, wir – also meine Geschäftspartnerin Marie Raue und ich – haben relativ schnell festgestellt, dass wir das Erlebnis aus einem 2-Sterne-Restaurant mit 19,5 Punkten – in Österreich also fünf Hauben – nicht einfach so mir nichts, dir nichts zu den Leuten nach Hause bringen können. Das geht nicht. Glücklicherweise hatte ich noch vier weitere Restaurantkonzepte im Hintergrund, die wir dann einfach kurzerhand zusammengeworfen haben. Und ich hatte dann noch einen Konzeptnamen in der Pipeline, im Sinne einer Anspielung auf China-Restaurants, sozusagen die Verballhornung von „Fucking Great“, nämlich „Fuh Kin Great“. Das haben wir dann einfach als Hashtag für das ganze Konzept gesetzt, weil wenn du gerade jetzt keinen Humor hast, wann dann? Und so haben wir das im Endeffekt einfach alles kombiniert und angefangen zu liefern. Das hat im ersten Lockdown ziemlich exzellent funktioniert – so exzellent, dass wir die Verluste aus den ersten Wochen kompensieren konnten. Unterschwellig wussten wir aber, dass das bei einem zweiten Lockdown im Winter nicht so gut funktionieren wird. Da hatte Marie dann glücklicherweise die Idee, dass wir auch deutschlandweit verschicken können.
Wie kann ich mir den Lieferservice vorstellen? Wie du vorher gesagt hast, lässt sich ja das Restaurant-Feeling nicht einfach so an die Haustür liefern.
Ja, das ist in der Umsetzung dann auch nicht so einfach. Du musst ja nicht „nur“ den Lachs 3:30 Minuten lang im 58 Grad heißen Fettbad lassen, ihn alle 20 Sekunden wechseln, aus dem Fond die Saucen anrichten, ein bisschen Salz noch drüber und zack, fertig, rausschicken. Sondern du musst das Ganze dann ja auch noch verpacken und drauf achten, dass alles trotz der Misshandlung durch den DPD während des Transportes ganz bleibt und dass es der Kunde – der keine Ahnung davon hat, was du dir bei dem Gericht gedacht hast – dann auch noch richtig anrichten kann. Und das haben wir jetzt geschafft. Gerade im zweiten Lockdown macht „Fuh Kin Great“ tatsächlich 80 % unseres Umsatzes aus. Und auch das hat uns liquide gehalten. Das hat uns die Möglichkeit gegeben, trotz Lockdown 100 % Gehalt zu zahlen, weil wir schon vorher gesagt haben, dass wir keinen heimschicken. In Deutschland startet das Kurzarbeitergeld bei 60 % – und wenn du in der Gastronomie arbeitest und du hast nur noch 60 % von deinem Gehalt und dazu noch kein Trinkgeld, dann geht wahrscheinlich die Miete weg und dir bleibt nur noch ein bisschen Geld für Dosenfutter übrig. Das geht nicht. Für uns war ganz klar, dass Solidarität mit unseren Mitarbeitern das A und O ist.
Wie schnell war das Konzept – mehr oder weniger vom Reißbrett zur Umsetzung – vollendet?
Fünf Tage. Wir haben für vier Tage den Laden zugemacht und sind dann am fünften Tag online gegangen. Wir haben den ehemaligen Gutschein-Shop unserer Restaurant-Website umgebaut, sodass die Besucher sich hier dann statt eines Gutscheinheftes ihr Essen gestalten und zusammenbasteln können. Das haben wir auch als „Patchwork-Familie“, also meine Geschäftspartnerin und Ex-Frau Marie, meine aktuelle Frau und ich, wirklich fantastisch ausgearbeitet und unsere Mitarbeiter haben das alles dann auch großartig umgesetzt. Ich hatte mir eigentlich geschworen, 2020 keinen neuen Betrieb zu eröffnen, aber im Endeffekt war dieses Umplanen praktisch eine Neueröffnung des Restaurants. Hat mich auch eine Handvoll Haare und Nerven gekostet.
Das alles ist ja schon im Frühjahr passiert. Wie sieht es jetzt aktuell aus?
Naja, wie sieht’s aktuell aus? Wir haben ehrlich gesagt schon gehofft, dass wir, nachdem es im Sommer gut ging, auch den Winter irgendwie gut überstehen. Das Gegenteil ist jetzt der Fall. Und ich muss sagen, dass die mentalen Anstrengungen wirklich weit über die Belastungsgrenze und die Kapazitäten hinausgehen, die wir im Endeffekt eingeplant haben. Ja, jetzt hoffe ich einfach, dass Corona sich ein wenig einpendelt. Also, es wird uns definitiv noch weiter begleiten, genauso wie die Grippe oder HIV oder Krebs, aber dass es einfach unser Leben nicht mehr so einschränkt.
Nur damit man da jetzt ein Gefühl bekommt: Wie viele Portionen sind über den Lieferservice bis dato schon verschickt worden?
Ich rechne da nur noch von Tag zu Tag. Im ersten Lockdown haben wir bis zu 1.200 Portionen am Tag ausgeliefert und abgeholt. Im Schnitt waren es etwa 800 bis 900. Jetzt ist es so, dass wir etwa bei 800 in der Spitze liegen und im Schnitt bei 600 am Tag. Das ist natürlich immer noch nicht schlecht, im Gegenteil, im Vergleich zu anderen geht es uns da sehr gut. Nur haben wir halt auch 40 Festangestellte und sind kein Restaurant mit fünf Leuten in der Küche, fünf Leuten im Service und so weiter. Wir haben also auch einen Kostenapparat, der bei knapp 200.000 Euro Fixkosten im Monat liegt und die muss man natürlich erst einmal einspielen.
« Ich achte darauf, dass sich Teammitglieder gut ergänzen. »
Zurück zu deinen Anfängen: dein Leben ist ja quasi wie ein kleiner Hollywood-Film, von der Straßengang zum Sternekoch. Nimm uns ein bisschen mit: Wie waren so deine Anfänge und mit welchen Problemen warst du konfrontiert?
Das ist wirklich, wirklich lange her, aber da ich die Geschichte gefühlt schon 7.533.000.000-mal erzählt habe, schadet einmal mehr wohl auch nicht (lacht). Also, ich war in meiner Jugend damals ein Mitglied eines, sagen wir mal, Jugend-Straßensportvereines, der in Kreuzberg sein Revier hatte. Wir hatten damals auch Leute verprügelt, das war aber keineswegs einfach willkürlich. Vielmehr haben wir uns einfach Gleichgesinnte gesucht, nach Leuten, die nach einem Umfeld gesucht haben, in dem sie sich sozusagen beweisen können. Es war auch ein gewisser Integrationsgedanke dahinter, könnte man sagen. Wir waren allesamt aus der Unterschicht, außer mir hatte so ziemlich jeder einen Migrationshintergrund – ich meine, dass wir damals einfach auch irgendeine Art Zugehörigkeit zu einem Ort gesucht haben. Und das war dann halt nicht Spandau oder Wittenau oder überhaupt was Größeres, sondern eben Kreuzberg.
War das Kochen schon damals ein Traum von dir?
Nein, eigentlich hat mich Kochen früher gar nicht interessiert, ich wollte Architektur und Interior Design studieren. Nur war das damals ein bisschen für’n Arsch, da ich ja nicht unbedingt oft in der Schule war. Und wenn, dann habe ich nur die Fächer belegt und auch geübt, die mich interessiert haben: Deutsch, Sozialkunde, Geografie, Englisch, wo ich dann auch Einser geschrieben hab. Sowas wie Chemie oder Physik hat mich dagegen gar nicht interessiert, da bin ich dann auch gar nicht hingegangen. Ich war auch ein beschissener Schüler, war den Lehrern gegenüber ein richtig kleines, mieses Arschloch. Ich habe damals einfach nicht kapiert, dass die Schule das Investment in meine Zukunft ist, das ich nicht mitgenommen habe. Das habe ich dann später im Endeffekt ausgemerzt, indem ich mir die Basis selbst geholt habe. Durch eine Menge lesen und selber lernen.
Und wie bist du dann schlussendlich in der Küche gelandet?
Ja, das hat sich eigentlich von selbst ergeben. Ich bin circa Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre in der Küche gelandet. Damals ging’s noch ziemlich rau her, der Küchenchef hatte da keine Bedenken dabei, auch selber mal die Rückhand zu ziehen. Was bei mir übrigens nicht funktioniert hat, ich habe ihm dann einfach selber eine geklatscht. In meinem Ausbildungsbetrieb war’s auch so ziemlich hektisch. Ich kann mich gut daran erinnern, dass da nach acht Stunden stempeln noch mal so sieben bis acht Stunden als „Motivationszeit“ draufgegangen sind. Unbezahlt natürlich, damals war das völlig normal. Aber ich bin nie vor der Arbeit weggerannt, war mir auch irgendwo scheißegal, wie viel ich im Endeffekt zu tun habe und ob das alles bezahlt wird. Ich wollte nur so viel Wissen wie möglich aufsaugen, wollte immer weiter nach vorne, besser, schneller werden.
Also war die Motivation dahinter der große Erfolg am Ende des Weges?
Naja, es war nicht wirklich ein großes Endziel, aber mit kleinen Erfolgen konnte man mich halt schnell ködern. Schon in der Ausbildung war ich schneller, effizienter und besser als gelernte Köche und hab dann als Lehrling im Endeffekt einen verantwortungsvollen Posten bekommen. Und ich war halt auch jemand, der rücksichtslos die Ellbogen ausgefahren hat, um in der Küche weiterzukommen. Also das heißt, ich war mir nicht zu schade, dem einen oder anderen mal den Ofen von 150 auf 250 Grad zu drehen oder mal ein paar Hände Salz in die Suppe zu werfen, um dann im Endeffekt zuzusehen, wie der Küchenchef dem anderen den Job weggenommen hat und gesagt hat: „Raue, mach du das mal.“ Also, ich habe mit allen Mitteln versucht, erfolgreich zu werden. Und je mehr Erfolg kam, umso mehr wollte ich dann auch.
» Ich wollte immer weiter nach vorne, besser, schneller werden. «
Hat dich so etwas je wieder eingeholt?
Natürlich, das Karma ist bei mir recht gnadenlos. Ich bin ja 2007 zum jüngsten Koch des Jahres im Gault&Millau gekürt worden und das Hotel, in dem ich damals gearbeitet habe – das war das Swissôtel in Berlin –, hatte zur Feier meine Fratze auf eine große LED-Leinwand vor dem Hotel projiziert. Davor war ich ja weitgehend unbekannt, aber die Leinwand haben dann natürlich viele Menschen gesehen, unter anderem auch welche, die mich noch aus der Schulzeit in Erinnerung hatten, und zwar nicht unbedingt positiv. Da waren dann Leute, die ich damals auch verhauen hatte, und nachdem die Bild-Zeitung davon Wind bekommen hat, rückte das alles natürlich mit auf die Leinwand. Und ja, damals wurde ich auch zum ersten Mal mit meiner Vergangenheit konfrontiert und im Endeffekt war ich ja derjenige, der scheiße drauf war. Aus der Retrospektive war das natürlich auch meinem Vater zu verdanken, der mich mit zehn Jahren ohne erkennbaren Grund aufs Übelste verprügelt hatte. Und dadurch bin ich definitiv gewalttätig geworden. Aber das ändert nichts daran, dass ich vom Opfer zum Täter wurde. Ich habe mich infolgedessen dann auch noch mal über die Tageszeitung öffentlich bei allen entschuldigt.
Bisher hat es aber aus deiner Lebensgeschichte noch nicht so gewirkt, als macht dir das Kochen an sich Freude. Wann genau hattest du hier den großen Durchbruch?
Damals, als ich die Auszeichnung von 2007 kassiert habe, hat mir der damalige Chefredakteur des Magazins noch gesagt: „Herr Raue, Sie haben eine riesige Karriere vor sich und das geht jetzt los.“ Und damals habe ich gedacht, ob der mich verarschen will: Gibt mir die höchste Auszeichnung in seinem Büchlein und sagt dann, dass es jetzt erst losgeht? Darüber habe ich dann noch zwei Nächte lang geschlafen, bis ich zur entscheidenden Frage gekommen bin: „Ist das, was du aktuell machst, wirklich das, was du machen willst?“ Die Antwort? „Nein, überhaupt nicht. Du kochst noch immer zu sehr nach dem, was andere von dir wollen.“ Und naja, daraus habe ich dann die notwendigen Konsequenzen gezogen, habe mich von meinem alten Job verabschiedet und bin dann relativ unbeirrt meinen eigenen Weg gegangen. Aber mit jeder Entscheidung, die diesen Weg unterstützt hat, bin ich glücklicher und freier geworden und habe Punkte in meiner Karriere erreicht, die ich mir vor fünf Jahren nicht vorzustellen gewagt hätte: ein eigenes Restaurant, ein zweiter Stern, 19,5 Punkte im Gumbo (Gault&Millau) und so weiter.
Was treibt dich dann heute als Koch an?
Naja, was wohl? Es macht Spaß, ganz einfach. Das ist für mich auch immer eine soziale Geschichte, das heißt, dass ich durch das Kochen auch etwas mache, das anderen Freude bereitet. Und das mache ich auch von ganzem Herzen und finde, dass jeder Gastronom das auch so handhaben sollte. Nicht einfach so, tatarata, drei Kaviar-Kügelchen aufs Teller setzen – der Gast muss da den Kaviar-Moment seines Lebens erleben, wenn er herkommt. Natürlich geht das auch in die andere Richtung: Für mich war es ein ziemlicher Knackpunkt in meinem Leben, als ich erkannt habe, dass ich mich auch von den Meinungen der Kunden nicht abhängig machen darf. Klar, wenn dir ein Stammgast sagt, dass dein Gericht zu salzig ist, dann ist das Gericht zu salzig, Ende. Aber jedem dahergelaufenen Herrn Dr. Müller da mit einer Entschuldigung und einem Glas Champagner nachrennen, nur weil ihm das Essen zu scharf ist oder weil er uns mit einem fiesen Instagram-Post droht, das muss dir als Gastronom scheißegal sein. Klar, letztendlich musst du darauf achten, dass die Gäste bei dir glücklich sind. Aber nach deinen eigenen Regeln und Vorgaben, nicht nach ihren.
» Die Neuausrichtung hat mich eine Handvoll Haare und Nerven gekostet. «
Das ist in der Theorie aber definitiv einfacher zu sagen.
Klar. Es ist aber natürlich nicht ganz einfach, das dann auch tatsächlich zu leben. Das bedarf eines gesunden Maßes an Selbstbewusstsein gepaart mit genug Reflexionsfähigkeit, um zu wissen, dass du a) im Endeffekt nicht am Konsumenten vorbeikommen kannst und b) selber sehr hohe Ansprüche an dich haben musst – und die sind bei mir mit der Zeit immer höher geworden. Früher habe ich für ein Gericht vielleicht zwei Tage gebraucht, heute stecken locker drei Wochen dahinter und dann kann es auch gut sein, dass ich dann sage: „Ich bin immer noch nicht glücklich. Die Saison vom Spargel ist vorbei. Dann legen wir es halt ins nächste Jahr.“ Und wer mir dann noch auf den Sack geht, weil er aber noch ein neues Spargelgericht will, den ignoriere ich einfach.
Ab wann war für dich dann der Punkt erreicht, an dem du selbst gedacht hast, okay, aus Tim Raue ist was geworden?
Den Punkt habe ich bis heute nicht erreicht. Ich stehe jeden Morgen auf und habe immer noch Angst davor, dass wir keine Gäste haben. Im Moment ist es tatsächlich auch so. Ich hatte noch nie das Gefühl, dass ich morgens aufgestanden bin und gedacht habe, mir gehört die Welt. Sondern das ist jeden Tag von Neuem enorm harte Arbeit, die viel Kraft, Passion und Leidenschaft kostet. Und man darf auch eins nicht vergessen: Erfolg ist nicht billig. Erfolg kostet: Haare, Krankheiten, Migräne. Körper und Geist sind nicht darauf ausgelegt, dass du sechs Tage in der Woche 16 bis 20 Stunden arbeitest. Das muss man wollen.
Wie entstehen jetzt bei euch neue Ideen und Projekte?
Das hängt im Grunde davon ab, was jemand von mir will. Ich bekomme da Anfragen aus der ganzen Welt und je nachdem, ob wir hier von einer „ollen Burger-Karte“ oder von einem Zwei-Wochen-Pop-up-Restaurant für ein Luxushotel auf den Malediven sprechen, fällt die Entscheidung natürlich immer anders aus. In erster Linie entscheide ich mal, ob das Projekt zu mir passt, ob es aus geschäftlicher Sicht Sinn macht und dann, ob ich eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter habe, die oder der das Projekt führen kann. Aktuell suche ich eigentlich nur mehr nach langfristig angelegten Partnerschaften – jetzt mit 46 fange ich natürlich an, mein berufliches Ende am Horizont zu sehen, und da will ich dann auch Konzepte realisieren, bei denen ich selbst nicht immer danebenstehen muss, sondern wo ich auch einfach als Consultant daneben basteln kann.
Wie wählst du die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für deine Projekte aus? Auf was legst du besonders Wert?
Ich sehe das Thema ziemlich vielschichtig. Soll heißen, dass man immer darauf achten sollte, dass sich Mitarbeiter gut ergänzen. In der Küche brauchst du zum Beispiel kreative Leute. Die tun sich meistens mit Strukturen und Organisation schwer, aber dafür bringen sie auch Aromen und Welten zusammen, von denen vorher noch niemand gehört hat. Andererseits musst du dem Kreativen dann auch einen Partner dazustellen, der die Kontinuität in der Küche bewahrt, einer der Ordnung und Struktur schafft. Im Service musst du genauso auf die Teams achten. Einer von den beiden sollte auf jeden Fall gut mit Menschen umgehen können und der andere muss dann dafür eine Haltung zeigen, die man auch nach außen hin kommunizieren kann. Da versuche ich immer, zwei Extreme zusammenzustellen. Mir sind Extreme auch lieber als der Durchschnitt. Ein 4-Sterne-Urlaubshotel ist Durchschnitt, da passt vielleicht alles so zusammen, aber darüber hinaus hat die Bude überhaupt keinen Charakter. Ich suche da eher nach 5-Sterne-Individual-Boutiquen: Die kommen vielleicht nicht in der Masse an, aber dafür haben sie auch hinter dem ganzen Luxus noch einen Charakter und eine Seele, die sich nicht kaufen lassen.
Wie genau gehst du mit Individualisten um? Wie viel Grundfantasie erwartest du von deinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?
Ich würd’s nicht Grundfantasie nennen. Bei mir herrscht pure Diktatur. Wenn es im Hauptrestaurant um Gerichte geht, gibt’s nur einen, der entscheidet, was auf die Karte kommt oder was nicht. Bei den anderen Restaurants ist es meist so, dass die Leute, die da in der Küche stehen, bei mir im Hauptrestaurant auf allerhöchstem Niveau gearbeitet haben und jetzt eben ein bisschen weiter unten das Ruder in der Hand haben. Da erwarte ich dann auch, dass sie selbstständig mit Ideen kommen können. Aber im Endeffekt entscheide als Letztes immer ich über jede Idee und ich verändere die dann auch, bis ich damit zufrieden bin. Für mich gibt’s bei jedem Projekt drei absolut wichtige Säulen: nämlich Interior Design, Service und Küche – und es ist mein Job, diese drei Säulen miteinander zu verbinden. Bei der Villa Kellermann zum Beispiel: Als wir die übernommen haben, wussten wir von Anfang an, dass das ein Restaurant mit jahrzehntelanger Verbindung zu den Menschen aus der Stadt Potsdam und dem Landkreis drumherum ist. Da musst du den Leuten diese Historie auch als Gefühl nahelegen. Hier muss ein Interior Design hin, das man direkt aus der 1900er-Villa deiner netten, reichen Großtante hätte nehmen können. Da musst du den Leuten die Schwellenangst nehmen, die sollen sich in dem Haus wohlfühlen. Und das alles zusammenzubringen und in Einrichtung, Service und Küche umzusetzen, sodass da in der Villa Kellermann ein Konzept entsteht, das vom ersten Tag an ausgebucht ist und Preise abräumt, das sehe ich als meine Aufgabe. Und da habe ich richtig viel Spaß daran.
Es gibt ja sehr viele erstklassige Köche, die kein Mensch kennt. Die schaffen es irgendwie nicht, dass sie eine gewisse Reichweite zusammenbekommen, dass sie Preise gewinnen und so weiter. Was denkst du, unterscheidet dich von diesen Köchen?
Möglicherweise sind die Köche auch einfach nur smart genug, dass sie nicht auffallen. Die können ein Leben führen, wo sie auf der Hauptstraße keiner anquatscht. Ich finde es ja nicht besonders erstrebenswert, dass dich wildfremde Leute einfach mal so aufhalten, umarmen und fotografieren. Und über diesen Teil reden die meisten Fernsehköche definitiv ungern, aber so was wie ein eigenes, privates Leben gibt’s für die nicht. Das kann ich auch nicht führen, ich muss mich verkleiden, wenn ich mal rausgehe. Und es ist mir auch schon passiert, dass mich wildfremde Leute ansprechen und Fotos wollen, während ich ganz privat, ganz romantisch mit meiner Frau spazieren gehe … das gehört eben auch dazu.
Wie gehst du mit persönlichen Rückschlägen um?
Ich habe nie Angst vor Rückschlägen gehabt. Ich habe auch nie Angst vor Sachen gehabt, die nicht funktionieren. Ich habe in Dubai ein Restaurant aufgemacht und alles falsch gemacht, was man da irgendwie falsch machen konnte: Wir hatten keine Alkohollizenz, haben aber auf Expats abgezielt. Für die Einheimischen haben wir völlig daneben gekocht, wir hatten keine Events, kein Rambazamba, was von einem Restaurant in Dubai durchaus erwartet wird. Ich hatte damals nur auf die Investoren gehört, die sich freuten, dass einer mal etwas anderes macht. Und im Endeffekt konnte ich den Laden wieder abschießen. Natürlich gibt’s da noch eine ganze Menge andere Beispiele: Ich habe oft genug in Mitarbeiter investiert, die sich im Endeffekt als illoyal herausgestellt haben. Im Fernsehen hatte ich mit Mälzer eine Show namens „Ready to Beef“ bekommen, die ich für absolut Mega-Weltklasse gehalten habe, aber weil’s in puncto Quoten für den Sender nicht geklappt hat, haben sie uns abgesägt. Und natürlich kann ich sowas dann oft auch nicht nachvollziehen, aber letztendlich sind das alles auch nur einzelne Episoden. Da lernt man draus und macht’s das nächste Mal besser.
» Ich habe nie Angst vor Rückschlägen gehabt. «
Du hast es schon ansatzweise angesprochen: Wann fühlst du dich selbst erfolgreich? An was machst du das fest?
Naja, am Anfang meines Lebens bestand Erfolg darin, dass man mir sozial nicht mehr ansieht und anhört, aus welcher Schicht ich komme. Später wurde dann der materielle Erfolg daraus, wie jetzt etwa eine schicke Uhr. Mittlerweile ist mir das auch eher egal geworden, aber natürlich gibt’s Sachen, für die ich sehr gerne Geld ausgebe – wenn du so ziemlich jeden Tag woanders für 16 Stunden kochst, dann willst du schon handgeschneiderte Kochuniformen und was Besseres als die Holzklasse im Flugzeug –, aber sowas wie ein neues Auto verändert den Menschen letztendlich auch nicht. Ich habe sowieso keinen Führerschein.
Aber was treibt dich an? Wo holst du dir immer die neue Motivation her?
Es gibt immer wieder was zu machen. Es gibt immer wieder E-Mails, immer wieder Anfragen und da sind genug Sachen dabei, die ich auch einfach gerne mache. Andersherum muss ich sagen, dass ich von 100 Anfragen 99 ablehne, weil ich schlicht und einfach keine Zeit dazu habe. Das muss ich halt im Endeffekt alles für mich regeln, aber solange ich alle Entscheidungen selbst treffen kann, bin ich mit meinem Leben auch glücklich. Ich habe da keine Assistenten, die meinen Kalender managen. Ich mache meinen eigenen Plan, wo ich entscheide, was ich mache, wann ich es mache und für wie lange ich es mache.
Recht herzlichen Dank für das Gespräch. War wirklich sehr cool und lässig.
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